Kunstwerke sind, wo sie gelungen sind, die versöhnte
Gestalt von Zufall und Notwendigkeit. Sie sind das labile Gleichgewicht
zwischen subjektiver Willkür einerseits und sachlichem Erfordernis
andererseits. Von Seiten der Willkür und der künstlerischen Freiheit her
gesehen, könnte jedes Kunstwerk natürlich auch ganz anders sein.
Natürlich könnte auf die Widmung, die Namensschilder, das Weiße Zimmer
verzichtet werden – gerade so, wie auf das Mahnmal insgesamt verzichtet
werden könnte. Nur hätten wir dann eben kein Mahnmahl – wie wir eben
auch das Kunstwerk, das ich Ihnen als Mahnmal vorschlage, nicht mehr
haben, wenn wir 3 von 5 Elementen weglassen. Ich kann Ihnen versichern,
dass ich alle vorgetragenen Elemente auf das Gründlichste geprüft habe,
ehe ich sie Ihnen zur Realisierung vorlegte.
Nun bin ich mir darüber im Klaren, dass Ihnen mein
Vorschlag (gerade an den Stellen, die Sie in Frage stellen) viel
abverlangt. Ich vermute, dass dies dem entspricht, was der Entwurf mir
selbst zugemutet hat. Denn im Hinblick auf Realisierbarkeit war, nach
dem Rat einiger Kollegen, mit diesem Vorschlag keine Chance
auszurechnen. Es wäre ein Einfaches gewesen, das Konzept dadurch
chancenreicher zu gestalten, dass die erkennbar schmerzhaften Stellen
vermieden werden – eben die, die Sie in Frage stellen. Es wäre in der
Tat ein Leichtes gewesen, den Vorschlag auf möglichst bequeme
Realisierbarkeit hin zu trimmen. Aber das ist nicht die Aufgabe, vor die
ich mich gestellt sah. Mein Lösungsvorschlag verdankt sich nicht der
Spekulation über Gewinn oder Verlust in einem Wettbewerb. Verantwortbare
Ausarbeitung eines Werkes folgt dessen innerer Logik, dessen eigener
Dynamik, der gedanklichen, gestalterischformalen Notwendigkeit. Selbst
die Hölle hat ihre Rechte, bemerkt Goethes Faust mit Staunen, nachdem
ihm Mephisto gesteht, dass er gefangen sei und nicht aus dem Haus könne:
wo er herein gekommen nämlich, da muss er auch wieder hinaus, „beim
ersten sind wir frei, beim zweiten sind wir Knechte“. So war mir die
Notwendigkeit gegeben, der Einsicht zu folgen, dass sich Erinnern und
Gedenken heute nicht mit einem einzigen Bild eines Einzelnen allgemein
verbindlich erledigen lässt. Allein deshalb schon umfasst der Vorschlag
mehrere miteinander verbundene Bilder.
Wer an einem Kunstwerk nur die künstlerische Willkür
wahrnimmt (es könnte ja auch ganz anders sein, wenn der Künstler nur
wollte), kann sich mit Recht provoziert fühlen: da macht einer
tatsächlich einfach das, was er will. Kunstzerstörung geht m.E. auf das
Konto solch einseitiger Wahrnehmung freier künstlerischer Setzung. Diese
scheint dann eine Machtdemonstration und durchaus geeignet, aufs Blut zu
reizen und Zerstörung zu provozieren. Wer umgekehrt an einem Kunstwerk
nur dessen Notwendigkeit wahrnimmt, wer wahrnimmt, dass kein Jota daran
zu ändern ist, ohne das Ganze zu verlieren, der neigt dazu es zu
verherrlichen, es wie eine göttlich wunderbare Schöpfung zu erleben und
es in feierlich heiligen Stand zu versetzen. Damit aber wird es der Alltäglichkeit, dem Leben
entzogen – das findet dann formal seinen Ausdruck in
Sicherheitsvorkehrungen aller Art, in Absperrungen, in schützenden
Glashauben, in Panzerschränken. Es ist leicht zu erkennen, dass auch
dies eine Zerstörung ist und der aggressiven in nichts nachsteht.
Das Werk, das ich Ihnen als Mahnmal vorgeschlagen habe,
ist nun gerade von der Art, dass es einerseits ein unveränderliches, in
sich notwendiges Werk ist und zugleich von einigen Parametern bestimmt
wird, die offen sind. Die vorgeschlagenen Elemente, Weißes Zimmer,
Widmung (Türschilder), Eintrag in die Flucht- und Rettungspläne sind
notwendig. Aber wie sie in sich gestaltet und ausformuliert werden, ist
(noch) offen. Hier nämlich setzt ein Gedanke an, der leicht
nachzuvollziehen ist. (Ich zitiere aus meinem Entwurf)
In einer pluralen
Gesellschaft ist kein einzelner Künstler, ist kein einziges Bild in derLage,
kollektiv bindende Symbolkraft zu entfalten. Deshalb musste ein
Bilderrahmen gefunden werden, der heute und morgen den Bildermachern der
Universität wird genüge tun können. Deshalb sollen möglichst viele
(Personen, Fakultäten, Institute) an der konkreten Gestaltung beteiligt
sein. Nur so ist die Hoffnung aufrecht zu erhalten, dass, was wir hier
zu machen im Begriff sind, tatsächlich Bestand haben wird. Möglichst viele sollen z.B. mitarbeiten Regularien für
das vorgeschlagene Stipendium zu entwerfen; nicht ich allein, sondern
das Universitätsbauamt zusammen mit mir, sollte eine Innenarchitektur
für das „Weiße Zimmer“ erarbeiten etc. Was ich vorgeschlagen habe (so
steht es im Konzept) ist ein Rahmen, ein vorverdichteter Raum, ein
Gefäß, das sinnvoll zu füllen wir gemeinsam uns bemühen sollten. Dann
wird es nur bei Strafe seines Verlusts, anders als von uns gedacht,
genutzt werden können.
Schon heute wirft es in unserem kleinen Kreis die Frage
auf: wie weit wollen wir gehen? Welchen Raum wollen wir der
Vergangenheit, dem Gedenken und der Scham über das Unsägliche
tatsächlich einräumen? In soweit wir uns für die Realisierung dieses
Vorschlags entscheiden, stellen wir auch zukünftige
Universitätsangehörige vor eben diese Frage. Denn jede Gegenwart wird
ihren eigenen Kompromiss, ihre eigene Balance finden müssen. Die Frage,
die wir mit diesem Mahnmal formulieren, wird immer wieder aufs Neue
beantwortet werden müssen. So oder so. Dennoch kann keine Entscheidung
wieder ungeschehen machen, was dieser Vorschlag mit Ihrer Entscheidung
zur Erscheinung gebracht haben wird: Die Antwort auf die Frage nämlich,
wie weit zu gehen wir tatsächlich bereit sind.
Dabei trifft sich die hohe Beteiligung, die mein Konzept
vorsieht, mit konzeptuellen Grundgedanken zur Zukunft der Universität,
die Sie, Herr Professor Jäger, vorgestellt haben. In Ihrer Ansprache zur
Eröffnung des akademischen Jahrs im Oktober 2002 weisen Sie auf die neue
Universität, den Fächerverbund, das Netzwerk hin – das ist ja historisch
und sachlich begründet und nicht nur ein kultur- und
hochschulpolitisches Statement. Diesem Netzwerkgedanken kommt der
Entwurf entgegen. Er bezieht alle Fakultäten, Gremien und Institute ein
und aktualisiert ihren Autonomieanspruch im Ganzen der Universität.
Professor Jägers Forderung nach Exzellenz in Lehre und Forschung darf
der Anspruch an ein Mahnmal in der Universität nicht nachstehen –
deshalb muss es - im Sinne der Pflege von gemeinsamen Interessen und
Überzeugungen – ein Kunstwerk sein. Es ist geradezu ein Aspekt des
Zentrenverbundes Life Sciences. Letztlich ist das vorgeschlagene Konzept
auch eines im Sinne des universitären Servicangebotes: Stärkung des
Wissenschaftsstandorts Freiburg - denn das vorgeschlagene Stipendium ist
ein attraktives Moment im globalen Wettbewerb um die besten Köpfe und
lässt sich problemlos andocken an das internationale Netz, um das die
Universität sich ja auch sonst erfolgreich bemüht. Es gehört zur
Neuorganisation universitärer Selbstverwaltung und stärkt ihr den
Rücken; es ist ein starker Beitrag zur angestrebten Corporate Identity
und Bestandteil des universitären Profils nach Innen und Außen. An
dieser Stelle kann das vorgeschlagene Konzept sogar die gewünschte
Brückenfunktion zur Gesellschaft mit übernehmen. Und, am Rande bemerkt, vor dem Hintergrund der
angestrebten Sparmaßnahmen ist dies eine extrem kostengünstige
Möglichkeit mehrere Aspekte in einem Projekt zu konzentrieren. Das,
verehrte Jury, nenne ich mit den Worten Professor Jägers „moderne und
bedarfsgerechte Entwicklung der Räumlichkeiten“ - das „Weiße Zimmer“ ist
ein nucleus im „hervorragenden Hort des Geistes“, als den er die
Universität beschworen hat.
Weil Sie alle wohl davon ausgehen, dass nicht einer
allein die Herausforderung der Aufgabe bestehen wird, haben Sie für Ihre
Aufgabe (ein Mahnmal einzurichten), bei bildenden Künstlern um
professionelle Unterstützung gebeten. Der Luxus, den Sie sich damit
gönnen, besteht gerade darin, jemanden als Mitarbeiter zu haben, der
nicht den alltäglichen, z.B. verwaltungstechnischen Zwängen der
Universität ausgesetzt ist, sondern frei, genau davon frei ist, eine
Lösung zu erarbeiten. Die Jury sollte daher nicht (wie ich erfahren
habe) gerade darüber Klage führen, dass genau diese Freiheit jetzt auch
genutzt wurde und mit meinem Entwurf ein Vorschlag auf dem Tisch liegt,
der der Universität nicht zu passen scheint. Die „Sitzungskapazität“ der
Professoren sei erschöpft, Sitzungen zum Thema „Weißes Zimmer“ würden
die Möglichkeiten der Universität überschreiten. Einen Raum für
Forschungszwecke oder zu Zwecken der Verwaltung frei zu stellen, sei
immer wieder mal möglich, aber einen Raum für die Freistellung frei zu
stellen, sei universitätsfremd. Dem mag so sein, aber liegt nicht gerade
darin auch der Wert des vorgeschlagenen Konzepts: etwas in die
Universität einzuführen, was ihr bisher fremd zu sein scheint, was ihr
vielleicht fehlt und sicher einmal gefehlt hat? Das „Weiße Zimmer“ ist
eine Bereicherung und zugleich eine symbolkräftige Verdichtung des
universitären Freiheitsgedankens, der sich nun einmal in Gremienarbeit
abbildet: berufsausbildend und menschenbildend, sachlich gebunden und
eben gerade darin frei, wie Rektor Jäger betonte.
Sie haben das Ihnen Mögliche getan: Sie haben den Satz
des Gedenkens formuliert: „Die Albert-Ludwigs-Universität gedenkt in
Trauer und mit Scham ihrer Mitglieder, die unter dem
nationalsozialistischen Regime als jüdische Opfer der Rassenideologie
oder als politisch verfolgte Tod, Vertreibung oder schwere
Benachteiligung erlitten haben und Aller, deren Name und Schicksal wir
nicht mehr kennen.“ Und Sie haben das Notwendige getan und
professionelle Unterstützung gesucht und in den bildenden Künstlern auch
gefunden. Notwendig war dies, weil es nicht hinreicht, jenen Satz nieder
zu schreiben. Trauer, Scham und der Wunsch, es denen, die nach uns
kommen, leichter zu tun, machte es notwendig professionelle Hilfe zu
suchen. Denn es genügt auch nicht die Namen derjenigen, die böswillig
aus der Welt geschlagen wurden, aufzuschreiben. So wenig wie wir heute
fähig, bereit und willens sind, ein Reiterdenkmal aus Bronze zu
errichten, so wenig können wir vor uns selbst und anderen rechtfertigen,
nur ein Namensverzeichnis anzulegen – weil wir damit zum Ausdruck
brächten, wie wenig wir nachgedacht haben über Schuld, Erinnerung und
Gedenken. Die vielleicht notwendige Archivierung von Namen und Fakten
übernehmen heute andere als bronzene Festplatten. Mit jedem Mahnmal
geben wir Zeugnis ab über die Art und Weise, wie wir gedenken, was wir
gelernt und erfahren haben und was wir zu tun für richtig und zukünftig
für angemessen erachten.
Wovon wir Zeugnis ablegen, wenn wir als Nachgeborene ein
Mahnmal ein-richten (nicht er-richten) ist ja nicht so sehr das Unrecht,
das den Universitätsangehörigen wie anderen unliebsamen Menschen jener
Zeit zugefügt wurde. Wovon wir Zeugnis ablegen, ist unser Verständnis,
unsere Interpretation des Erinnerns, des Gedenkens, des Umgangs mit
Unrecht und Gewalt. Mir ist nichts Besseres eingefallen bisher, als
Räume einzurichten denjenigen, die unser Gast sein wollen. Nichts
Besseres ist mir eingefallen, als Gastlichkeit und ein offenes Haus - im
Namen derer, denen jede Bleibe - geistig, seelisch, körperlich -
genommen wurde. Denn es genügt nicht, irgendwo eine Skulptur zu
errichten, eine Bronzetafel anzubringen oder ein Wandbild ausführen zu
lassen. Wir können uns der Aufgabe nicht in einem Verwaltungsakt
entledigen. Entledigen, leise, wie man einen Ohrring ablegt (Rilke).
Nicht als eine Ablage sollten wir das Mahnmal verstehen,
sondern als performativen Akt im Namen der Entrechteten. Nicht zu den
Akten, sondern als Akt. Nur dann ist das Mahnmal kein Vorwand für ein
Anderes. Es soll nicht selbst wieder ein totes Ding sein. Das Mahnmal als Element im Todeskult unserer
Gesellschaft soll keine Delegation der Erinnerungsarbeit an ein Ding
sein, sondern durchgeführte Arbeit und soziokulturelle Ausdrucksgestalt,
performative Erzeugung von Gedächtnis und „Konstruktion einer
Interpretationskategorie“ (Hans Ulrich Reck). Das „Weiße Zimmer“ ist das
offen gehaltene Problem kultureller Erinnerungsarbeit. Hier ist das
Gespräch deponiert und künstlerisch in eine Dauer versprechende
institutionelle Form gebracht.
Scham und Trauer im Gedenken derer, die an dieser
Universität als Kollegen, Nachbarn, Freunde Gewalt und Unrecht leiden
mussten, werden sich darin bewähren
müssen, Kräfte zu mobilisieren, die
Zukunft öffnen: für uns, für andere, für unsere Gäste. Nicht Rührung und
Betroffenheit - Hoffnung ist, was wir brauchen und bezeugen sollten.
Und in der Tat: nur so, in und mit einer künstlerischen
Form, können wir heute artikulieren, worum es uns geht. Kunstwerke geben dem
Erinnern eine reintegrierende Gestalt. Deshalb zeigt die vorgeschlagene Videosequenz
einen künstlerischen Bühnenakt. Schlügen wir uns zuhause, beim Empfang eines
Steuerbescheids mit dem Handrücken an die Stirn und ließen uns mit einem
Augenaufschlag in den Sessel fallen – es wäre lächerlich. Geformt, gebildet, in
künstlerischer Ausdrucksgestalt, auf der Bühne eben, ist es möglich. Kunst gestattet Schmerz und
Leid mit Nachdruck („pathetisch“ wie manche der Jury die Filmsequenz
fanden) zu artikulieren, ohne lächerlich zu sein. Dennoch mag es Menschen geben, die
in ein Lachen - flüchten; nicht anders also, wie wir beim Anblick von Charlie
Chaplins Tramp lachen: anerkennend, dass die Tragik menschlichen Seins zugleich
die Hilflosigkeit ist, in der jeder Held zur Karikatur seiner selbst wird. Im
Kunstwerk, wie im Leben, ist Scheitern mitgesetzt. Kunstwerke führen es vor, indem sie sich
dazu bekennen. Andernfalls hätten wir es mit Gefühlsduselei und Kitsch zu tun.
Deshalb muss das Mahnmal ein Kunstwerk sein. Es muss, wie alles Werdende, das Risiko
tragen, zu scheitern. Jedes Kunstwerk ist ein Mahnmal, aber nicht jedes Mahnmal ist
ein Kunstwerk.
Ich wünsche uns allen, dass es in diesem Fall gelingen
möge. Mit freundlichem Gruß
Richard Schindler
PS: Ich danke Herrn Professor Schlink, Frau Julia Dold
und Herrn Klaus Merkel für die Zeit, die sie sich für unser ausführliches Gespräch im
Namen des gemeinsamen Anliegens genommen haben.