Richard Schindler:
Die Mutter aller Bomben
Schauspiel wie Hiroschima und Nagasaki: MOAB, ein pyrotechnisches
Wunder für
die Augen der Welt.
Badische Zeitung 22.03.2003
Natürlich ist
"MOAB", die größte konventionelle Sprengbombe der Welt, ein
Mittel auch der psychologischen Kriegführung. Nicht allein darum, weil
US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld es sagte. Auch nicht darum
allein,
weil der Zeitpunkt, zu dem die Macher ihre neue Superwaffe vorführten,
diese
Intention erkennen lässt. Psychologisch wirksam ist "Massive Ordnance
Air-Burst Bomb" an sich selbst.
Die Bombe ist kalkuliertes visuelles Ereignis, sie setzt nicht auf
Unsichtbarkeit und Überraschung. MOAB, "Mother of all Bombs", wie sie
US-Militärs nennen, erschien zu ihrer ersten Aufführung am helllichten
Tage,
am Himmel über Florida. Sie schwebte, satellitengestützt, am Fallschirm
zur
Erde. Fast bis zur Erde. Kurz vor ihrer Niederkunft ist dies
glanzlackierte,
militärtechnische Designerstück in Orange und Schwarz, zerborsten. In
kilometerweiter Entfernung war die Detonation zu hören, die
Explosionswolke
zu sehen. Super-Bomb ist erdacht als erschreckendes Spektakel für unser
aller Augen. Sie ist zu allererst Bild.
MOAB ist erfunden und gebaut für Augen, in deren Fokus das Ding selber
ist - nicht der Zielpunkt einer Waffe. Man wird ES sehen. Vom Himmel
kommend, aus großer Höhe, langsam sich nähernde Zerstörung.
Aluminiumpulver,
das sich mit der gigantischen Druckwelle ausbreitet, alles Leben
vernichtend, im Umkreis von 1500 Metern. Wer ES kommen sieht, wird den
Ort
der Niederkunft abschätzen und vielleicht fliehen versuchen. Außerhalb
der
unmittelbaren Todeszone aber, wird man sehend ahnen, was dort geschieht.
Wie
wir es ahnen sollen, nach Bildberichten dieser Premiere, die sie Test
nennen.
Bei der Explosion wird Benzin zerstäubt, entzündet, um in der
errechneten
Form eines Rauchpilzes eine Atomexplosion zu simulieren. Die neue Waffe
ist
nicht nur mit 10'000 Kilogramm Sprengstoff gefüllt, sie ist ein
Feuerwerkskörper, ein pyrotechnisches Wunder für die großen Augen der
Welt.
Die polierte Oberfläche von Autokarosserien geborgt und von gewichsten
Stiefeln - das Schauspiel von Hiroschima und Nagasaki. Wer das
Kunststück
überlebt (oder eben nicht), wird mit eigenen Augen gesehen haben, wie
beeindruckend Zerstörung aussieht. - Aber haben wir das nicht jüngst in
Manhattan schon gesehen?
Mit Manhattan hat die Super-Bomb auch darum zu tun, weil das
Atombomben-Projekt in den National Laboratories von Los Alamos
seinerzeit
kurz "Manhattan Project" genannt wurde. An eben jenem Ort wurde seit
1946,
die allererste so genannte "super" entwickelt - die tausendfach
wuchtigere
Wasserstoffbombe. Dort hat auch die Verknüpfung von mother und bomb
ihren
Ursprung.
Die Physikerin Lise Meitner hatte 1939 die bei der Kernspaltung
freiwerdende
Energie theoretisch richtig gedeutet und berechnet und wurde deshalb von
der
Presse "Mutter der Atombombe" genannt; obwohl sie, einem Bericht ihres
Neffen Otto Robert Frisch zufolge, alle Angebote ablehnte, am "Manhattan
Project" mit zu arbeiten.
Moab aber ist nicht nur der Name einer Kleinstadt im Staate Utah am
US-Highway 191 und des Startrek-Planeten einer isolierten Gemeinschaft
aus
genetisch veränderten Menschen. Moab ist auch der biblische Name für das
Land der Moabiter, das den fliehenden Israeliten Zuflucht war. " Wir
hören
aber von dem Hochmut Moabs, dass er gar groß ist, dass auch ihr Hochmut,
Stolz und Zorn größer ist denn ihre Macht" (Jes 16, v. 6).
Die Bilder der Auslöschung jedenfalls, die wir von Manhattan kennen,
werden
trotz "super-bomb" bleiben was sie sind. Und der bloße Versuch, sie mit
"mother of all bombs" zu toppen, ist beschämend. Bei aller Begeisterung
für
ihr Manhattan-Project, scheint den Experimentatoren vom
Luftwaffengelände in
Florida entgangen zu sein, dass diese Scham auch eine psychologische
Wirkung
von MOAB ist.
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