Richard Schindler: Vor dem Kameraauge der Welt wurde am Mittwoch im Stadtzentrum Bagdads die Statue Saddam Husseins vom Sockel gerissen. Für Präsidentensprecher Ari Fleischer war der Sturz der Statue ein "historischer Moment", den George Bush leider verpasste. Als US-Marines das Standbild am Paradies- Platz zu Fall brachten, sprach dieser gerade mit dem slowakischen Staatschef. Vor den Fernseher zurückgekehrt und über das historischen Ereignis unterrichtet, kommentierte Bush: "Sie haben es gestürzt." Wohl wahr, dieses Bild Saddams ist zerstört. Aber es gibt derer viele, nicht zuletzt in den Köpfen zahlreicher Menschen. Bedeutsamer ist: Auch die Bildstrategen des Krieges haben eine momenthafte Gelegenheit verpasst. Es ist ihnen nicht gelungen, ein neues Bild zu schaffen. Eines, wie sie es wollten: Ein Siegerbild sollte entstehen, wie beim Sturz der Berliner Mauer, an das Rumsfeld erinnerte. Eines, das wie die Flagge auf dem Brandenburger Tor, das Ende des Zweiten Weltkrieges vor Augen führt. Eines, das schulbuchgeeignet den Schlusspunkt einer siegreichen Befreiungsschlacht markiert. Was sich tatsächlich zeigte, war die Hilflosigkeit, mit der die Männer dem ersehnten Augenblick begegneten. Nach der Geste eines Irakers, der verzweifelt mit dem Hammer auf den Sockel einschlug, wurde dem Standbild eine Schlinge um den Hals gelegt, entfalteten Soldaten die Stars & Stripes, um das Bildnis zu verhüllen. Das aber sah nicht gut aus und erwies Saddam eine Ehre, die nur gefallenen Soldaten zuteil wird: In Flaggentuch gehüllt werden verstorbene Helden der Nation, nicht geschlagene Feinde. Bilder, die wir von entführten Geiseln kennen. Bilder, die wir von entführten Geiseln kennen Die US-amerikanische Flagge wurde entfernt und durch die irakische ersetzt. Aber wie zuvor erinnerte das erneut verhüllte Gesicht an Hinrichtungsopfer, an gefangene irakische Soldaten, an die afghanischen Häftlinge in Kuba. Allzu sehr glich es den Bildern, die wir von entführten Geiseln kennen. Wer wollte sich auf diese Art als Geiselnehmer outen? Haben die Akteure nicht intuitiv erfasst, dass die Flagge über dem Kopf der Statue nur ein Machtsymbol durch ein anderes ersetzen würde? Gestürzt würde auch das eigene Symbol fallen und im Straßenschmutz liegen. Schließlich verzichteten die US-Soldaten auf zusätzliche Symbolik. Sie taten das Notwendige: Das Standbild musste fallen. Als Panzer-PS das Seil strafften, knickte die Figur, zerbrach. Das großartig gedachte Bild ist keines geworden. Dennoch ist, was wir sahen, wahr. In manchen Videobildern zeigt sich - wie in einer Bleistiftskizze - unmittelbar, direkt, was in einem Augenblick sich zeigen kann: der tatsächliche Stand der Dinge, den erkennbaren Absichten entgegen. Was aufschien: Der historische Augenblick im Irak ist gedacht, herbeigesehnt - aber nicht erlebt. Der verpasste Augenblick ist ein Hinweis darauf, dass historische Momente sich keiner Choreografie fügen, sondern ihre eigene haben. Gewollte Symbolbilder sind keine.
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