Badische Zeitung vom Freitag, 2. Mai 2003

Silberstock, Goldhonig
AUGENSACHE (3): Härtters Bienenstock im Liliental

Honig. Dem Alltag gestohlen, dem Alltag geschenkt, steht ein silbergrauer Bienenstock unweit des Weges im Liliental am Kaiserstuhl. Der Maler Stephan Khodaverdi hat ihn mir gezeigt. Nach einem Spaziergang bei Ihringen durch den Mammutwald.

Dort nämlich führt der Skulpturenweg zum Silberschatz von Bernhard Härtter. Innig vereint mit allem, was ihn umgibt. Wie Wegkreuze stehen oder eine Aussichtsbank. Geschützt und geborgen, ausgesetzt und verloren, alles zugleich.

Das Kunstwerk verleiht diesem Ort Zauber, und die Magie des Ortes spendet ihm Kraft. Wird jeder Platz orakelhaft, wenn ein Ding ihm Bedeutung borgt? Der Ort schweigt - offenbar um das Summen der Bienen hörbar zu machen. Das Geräusch ihrer Bewegung gebietet Stille. Ein Steingewicht ruht auf dem Blech, das das Gehäuse gegen Wetter schützt. Stein und Blech, alles ist silberfarben gestrichen. Nicht golden.

Golden ist der Honig. Der wird im Innern von emsiger Natur erzeugt. Ein süßes Versprechen. Um diese Jahreszeit atmet der Bienenstock wie nie. Immer fleißig, ein und aus. Kunstwerke atmen so. Alltäglich, aber eigen nur sich selbst, wie von einem andern Stern: handgreiflich da - unfassbar fern. Wir können den Atem vernehmen. Aus gebührlichem Abstand. Sich dem Kunstwerk weiter zu nähern verbietet Erfahrung. Wer schutzlos herantritt, wird empfindlich gestochen.

Muss jedem Kunstwerk mit List erst abgerungen werden, was hier Honig ist? Auf kleinem Hinweisschild ist zu lesen, bei welchem (Kunst-)Vermittler der Honig zu kaufen ist. Wir stehen still und schauen. In Bernhard Härtters Silberhaus wohnt eine Königin.

Richard Schindler

http://www.badische-zeitung.de/1052039172329