Badische Zeitung vom Freitag, 2. September 2003

Der Keks zum Tee
AUGENSACHE (6):
Dreingaben, die keine Geschenke sind

Eine Mini-Schokolade zum Kaffee, ein Bonbon beim Erhalt der Rechnung. Idee und Praxis solch unbestellter Dreingaben ist nicht neu. 1813 wurde eine Knabberpackung mit Popcorn und Nüssen (Cracker Jack) verkauft, die zusätzlich kleine Spielzeuge enthielt. Bekannt waren die Sammelbilder von Sanella, geliebt die Kaugummiautomaten der sechziger Jahre, die dem Käufer-Spieler auch jede Menge Schnickschnack boten. Die Dreingabe ist ein Surplus, dessen beabsichtigte kaufmännische Absicht leicht verständlich und durchschaubar ist. Der unbestellte Keks zum Tee eine Geste des Dankes und der Gastfreundschaft.

In manchen Baumärkten enthält jeder 20igste Sack Zement eine „Überraschungsbeilage“ - ein Hoffnung weckendes Versprechen auf chancenreiches Glück. Eine Zusatzzahl. Eine aktuelle Kinowerbung nennt das Bonusmaterial. An der Tankstelle gibt es nicht nur Benzin, bei Tschibo mehr als Kaffe. Allenthalben mehr als zu erwarten war.

Beim Überraschungs-Ei, seit den 70iger Jahren Ferreros Hit Nummer Eins, war zunächst die Verpackung das zu verkaufende Produkt. Erst Käuferverhalten hat das Ei zum Kombiprodukt gemacht und die Verhältnisse umgekehrt: gekauft wird ein Sammelobjekt, Spaß, Spannung, Unterhaltung. Die Schokolade ist jetzt Sekundärgewinn - materialisiert in süßer Speise. Der Praxis unbestellter Dreingaben liegt ein Kindchenschema zu Grunde: Betthupferl und Belohnung für gezeigtes Wohlverhalten. Im Informationszentrum der Baden Nova in Freiburg erwarten den Besucher große transparente Wundertüten, Füllhorn und Schultüte in einem: mit Süßigkeiten, randvoll. Der Besuch im Büro wird zum ersten Schulungstag und Beginn erhoffter „Kundenbildung“.

Die Mini-Schokolade ist kein Werbegeschenk, wie manche Kugelschreiber oder Streichholzheftchen. Kein Rabatt, kein Preisnachlass. Auch keine Geste, die verpflichtet, wie Gastfreundschaft verpflichtet. Sie ist kein Geschenk, natürlich nicht, wir bezahlen sie mit - ob wir wollen oder nicht. Eine Nötigung liegt darin, die die sozial verpflichtende Geste des Schenkens nutzt, um diese zu zerstören. Eine Büchse der Pandora. Am Ende schmeckt es bitter.

Richard Schindler

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