ROOM WITH A VIEW
Zur Erfindung sozialer Räume

Vorträge an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Carl-Schurz-Haus/ Deutsch-Amerikanisches Institut e.V.

Die Vortragsreihe wurde initiiert und zusammengestellt von
Rita Deschler und Richard Schindler.

Unterstützt durch das Colloquium-Politicum der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, das Institut für Visual Profiling, das Kulturwerk T66, durch Dr. E.Tellbüscher und das Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft

Im Oktober 2006 realisierte das Kulturwerk des Berufsverbandes Bildender Künstler in Freiburg eine Ausstellung der Bildhauerin Rita Deschler mit dem Titel „Room with a view” in der ihr Projekt „Kunst und KinderGarten“ vorgestellt wurde. In diesem Zusammenhang veranstaltet das Carl-Schurz-Haus/ Deutsch-Amerikanisches Institut e.V. gemeinsam mit Rita Deschler und Richard Schindler die Vortragsreihe„Room with a view – Zur Erfindung sozialer Räume“ .

 

Referenten

Johannes Stüttgen, Düsseldorf
Richard Schindler, Freiburg
Nina Möntmann, Hamburg/ Helsinki
Stefan Kaufmann, Freiburg

Hauptfriedhof Freiburg
Foto Richard Schindler

Es gibt Orte, die offensichtlich vollkommen anders sind, als die übrigen: Friedhöfe, Gefängnisse, Feriendörfer oder Bordelle. Hier herrscht eine andere Zeit. Hier gelten andere Regeln. In gewissem Sinne sind es Un-Orte oder, mit einem Ausdruck von Michael Foucault, Heterotopien.Gemeint sind Gegenräume, die es tatsächlich gibt und die dennoch neben oder jenseits üblicher Orte angesiedelt sind. Sport- oder Spielplätze, Theater, Ausstellungsräume, Schiffe oder Gärten sind Un-Orte, die einen Ort gefunden haben: lokalisierte, reale Utopien.

Heterotopien sind Ausnahmen. Bezogen auf ihr anderes, lassen sie sich als Leerstellen beschreiben, die, wie die Nabe eines Rades, jenes Zentrum bilden, um das sich alles dreht. Gilt dies auch – oder gerade – für Guantánamo oder einen Kindergarten? Für Abu Graib und einen Freizeitpark? Für Freihandelszonen oder Exportproduktionszonen von Nike und IBM oder Gettos in Afrika?

Die Vorträge bemühen sich um ein differenziertes Verständnis aktueller lokalisierter Un-Orte und ihre entwicklungsgeschichtliche Perspektive. Sie suchen Differenzen und Gemeinsamkeiten zu benennen und fragen danach wie sie sich material zeigen und worin ihre soziale und symbolische Bedeutung liegt. Was ist ihr jeweiliges andere? Konvergieren sie gar mit außeralltäglichen,sozialen Räumen der Kunst? Und in welchem Sinn lassen sich Räume der Kunst als Modelle, als Gegenräume, als lokalisierte Utopien verstehen?

 

Johannes Stüttgen, Düsseldorf
Zu Joseph Beuys - I like America and
America likes me

09.01.2007, Hörsaal 1199 - KG I der Universität, um 20 Uhr c.t.

Die Aussage von Joseph Beuys "Jeder Mensch ist ein Künstler "offenbart eine Wahrheit, der sich kein Mensch entziehen kann: Dass jeder der verantwortliche Gestalter nicht nur seiner Biographie, sondern überhaupt der Verhältnisse hier auf Erden ist. Die fortschreitende Verwüstung der Menschenseelen und der Natur signalisiert, dass wir umdenken und alle Begriffe neu bestimmen müssen. Ausgangspunkt ist der durch Joseph Beuys erweiterte Kunstbegriff, der die Idee der Sozialen Plastik als unsere eigene Wesensbestimmung in uns aufgehen lässt. Die Aktion von 1974 in der New Yorker Galerie von Rene Block „I like America and America likes me“ machte dies erlebbar. Der Vortrag von Johannes Stüttgen wird die Grundzüge dieser Idee erläutern.

Johannes Stüttgen war Meisterschüler und Mitarbeiter von Joseph Beuys und Geschäftsführer der Free International University und des Omnibus für Direkte Demokratie. Er hatte Gastprofessuren in Hamburg und Gießen und ist seit 2004 Honorary Fellow der Oxford Brookes University.
(Bis zum 7. Januar sind in der Staalichen Kunsthalle Karlsruhe Zeichnungen von Joseph Beuys zu sehen.)

Richard Schindler, Freiburg
Räume der Kunst, Orte des Verbrechens
21.11.2006, Hörsaal 3042 - KG III der Universität, um 20 Uhr c.t.

Peter Handke hatte einst sein Publikum beschimpft, Timm Ulrichs hat sich als erstes lebendes Kunstwerk präsentiert, Mishima hat sich in einer Live-Performance öffentlich enthaupten lassen. Duchamp hat Alltagsgegenstände in den Kunstraum geholt und John Cage hat uns das Ohr geöffnet für Alltagsgeräusche: auch Stimmengewirr und Sirenengeheul sind Klang und also wert, bewusst wie Kunst, gehört zu werden. Künstler haben auf vielfältige Weise versucht, die historisch gewordene Grenze zwischen Kunstraum und Leben zu überwinden. Die im „Elfenbeinturm“ der Museen gehütete oder im „White cube“ der Galerien inszenierte Kunst sollte wieder relevant werden für das gesellschaftliche Leben. In einer beispiellosen Inszenierung im Theater an der Dubrowka ist im Oktober 2002 umgekehrt Lebenswelt selber in den Kunstraum eingebrochen. Im zweiten Akt einer laufenden Vorstellung des Musicals „Nord-Ost“ wurde das Konzerthaus zum Tatort gemacht. Bühne und Zuschauerränge vermint,überall bewaffnete Geiselnehmer. Am Ende des Theaters, Leichen auf den Sesseln, in den Gängen.Der Vortrag thematisiert die Grenze von Kunstraum und Lebensraum und geht der Frage nach: was geschieht wenn sie überschritten wird?

Richard Schindler ist bildender Künstler und Autor von Texten zur Kunst. Er leitet das Institut für Visual Profiling und lehrt an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel.

Nina Möntmann, Hamburg/ Helsinki
Produktive Konflikte.
Neue Communities und öffentliche Räume.
30.01.2007, Hörsaal 1199 - KG I der Universität, um 20 Uhr c.t.

Entfällt wegen Krankheit.
Statt dessen: Vortrag von Richard Schindler - Räume der Kunst, Orte des Sozialen.

Wenn in der Kunst die Ermächtigung der BürgerInnen als Ziel formuliert wird, finden sich diese Ansätze häufig in einer partizipatorischen Praxis umgesetzt, die seit den frühen neunziger Jahren vermehrt in eine Arbeit mit unterschiedlichen Communities mündet. In der „Communitiy-based art“ soll aktiv am öffentlichen Raum teilgenommen werden, indem bestimmte lokale Personengruppen, oder nur das Kunstpublikum, in einem co-operativen Prozess zum Handeln und Kommunizieren aufgefordert werden. Dabei stellt sich die grundlegende Frage, wie diese Communities im Rahmen der Kunstprojekte jeweils definiert werden. Während in den frühen neunziger Jahren noch ein verstärktes Interesse an einem politischen Effekt und einer sozialen Hilfestellung bestand, sind die Communities in der Kunst heute experimenteller und erzeugen zeitlich begrenzte Situationen, die auf eine gemeinsame Erfahrung der Teilnehmer abzielen.

Dr. Nina Möntmann ist Kunsthistorikerin und lebt in Hamburg und Helsinki. Sie arbeitet am Nordic Institute for Contemporary Art/NIFCA in Helsinki und ist Korrespontentin u.a. für Artforum und Texte zur Kunst. 2006 lebte sie als „Curator in Residence“ am Goethe-Institut New Delhi und kuratierte die dortige Ausstellung „Impossible India“. Nina Möntmann ist Buchautorin und hat Lehraufträge an der Universität Hamburg, der Kunsthochschule Umeå und ist Gastprofessorin für Medientheorie an der HDK Bremen.

Stefan Kaufmann, Freiburg
USA - Landschaft der Vernunft.
Staatsutopie und Landschaftsformung
24.01.2007, Hörsaal 3042 - KG III der Universität, um 20 Uhr c.t.

„Raumbilder sind die Träume der Gesellschaft“, lautet ein Diktum Siegfried Krakauers. Die Träume der Gründungsväter der USA manifestierten sich in einem sehr spezifischen Raumbild: dem American Grid-System. Das Grid-System ist Konzept und Praxis, um den kontinentalen Raum in Form eines planquadratischen Ordnungsmodells zu erschließen. Das Grid ist ein durch und durch aufklärerisches Projekt und verkörpert als solches eine politisch-ästhetische Ordnungspraxis,in der die Formierung der Gesellschaft Hand in Hand gehen sollte mit der Formung der Landschaft. Der Vortrag von Stefan Kaufmann wird den ästhetischen und technisch-medialen Voraussetzungen dieses utopischen Projekts nachgehen und die politisch-utopischen wie imperialen Ordnungsvorstellungen dieses Raumbildes aufzeigen.

Dr. Stefan Kaufmann ist Privatdozent an der Albert-Ludwig-Universität Freiburg und vertritt bis 2007 die Professur von Dr. Wolfgang Eßbach am soziologischen Institut. Stefan Kaufmann veröffentlichte eine Soziologie der Landschaft (Wiesbaden 2005) und zahlreiche Arbeiten zu einer historischen Soziologie von Raum, Krieg, Technik und Körper.