Seit Herbst 1987 treffen sich in Freiburg ca. 20
bildende Künstler zu nicht-öffentlichen Diskussionen in einem
Atelier. Die Gespräche finden in unregelmäßiger, aber steter Folge
statt; sie wurden von mir initiiert und werden von mir organisiert.
Um das Thema, das in gemeinsamer Absprache für
die jeweils nächste Gesprächsrunde festgelegt wird, fundiert
erörtern zu können, werden Gäste eingeladen: „Experten" und/oder
Kollegen aus anderen künstlerischen Bereichen. Diese Gäste nehmen
alle ohne Honorar oder Unkostenerstattung an den Gesprächen teil.
Die besprochenen Themen reichen von eher
kunstinternen Fragen, wie z.B. „Form und Inhalt", bis zu Fragen nach
der gesellschaftlichen Rolle der Kunst in Gegenwart und Zukunft.
Manchmal geht es um einen ausgesprochen theoretischen Zugriff, wie
in der Auseinandersetzung mit den Gesellschaftsanalysen
Baudrillards, manchmal um die Diskussion künstlerischer
Alltagsfragen: „Kritik und Kritiken - notwendig oder entbehrlich,
überflüssig oder gar schädlich?" oder „Kunst und Künstler im
Kräftefeld von Galerien und Kunstvereinen, Museen und
Privatsammlungen."
Gespräche in Rundfunk, Fernsehen und anderen
öffentlichen Veranstaltungen werden für ein Publikum inszeniert. Die
Freiburger Ateliergespräche finden ohne ein solches Publikum statt.
Sie haben nicht das Ziel, potentielle Teilnehmer zu informieren,
anzuregen oder zu unterhalten: Das Gespräch über Kultur soll nicht
selbst schon wieder eine Kulturware für einen Kulturmarkt sein.
Die Freiburger Ateliergespräche reflektieren, im
Austausch von Informationen und Meinungen, im Formulierungsversuch
von bisher Ungesagtem unsere Situation und unser Selbstverständnis
als KünstlerInnen heute. Sie sind ein Versuch zur kulturellen
Selbstverständigung - ein Gespräch „an-und-für-uns".
Die Freiburger Ateliergespräche verdanken sich
dem Interesse und Engagement aller Teilnehmer. Sie sind eine
persönlich getragene Unternehmung in kommunikativer Absicht; ohne
Zwang zu vorzeigbaren oder unmittelbar verwertbaren Ergebnissen. Das
Gespräch (lexis) ist das Bemühen, gemeinsam Gedanken zu entwickeln;
mit Anderen weiter zu denken. Das bedeutet, daß bisher Ungedachtes
oder bloß Geahntes spekulativ entwickelt, im Anschluß an eigene oder
fremde Gedanken weitergesponnen wird. Mit allen damit verbundenen
Risiken. Denn:
Gespräche können, im Unterschied zu bloßen
Diskussionen, dem Austausch von Argumenten oder dem Abspulen von
Statements, mißlingen. Sie können in die Irre gehen. Es gibt keinen
definierten Weg, nur eine grob angegebene Richtung. Gespräche finden
nicht an einem Ort, sondern in einem Raum statt - in einem Raum, der
durch das Gespräch konstituiert wird.
Durch das Gespräch wird das Atelier, bisher als
Ort einsamer künstlerischer Produktion die Basis eines autonomen
künstlerischen Subjekts, für gewisse Zeit zu einem Raum
intersubjektiver Reflexion umgebaut.
Die Freiburger Ateliergespräche sind das
Experiment einer um Lexis erweiterten künstlerischen Praxis.
Richard Schindler, Freiburg 1988
|